Vielen ist es unverständlich, warum sie so emotional reagieren. Plötzlich „explodieren“ sie. Aus einem anscheinend nichtigen Anlass brechen die Gefühle hervor, sei es die Angst- oder Panikattacke, ein unvermittelter Wutanfall, die Heißhungerattacke, unversehens aufflammende Eifersucht … (die Reihe ließe sich fortsetzen).
Aus einem tatsächlich heiteren Himmel geschieht es aber meistens nicht. Oftmals brodelt es schon im Menschen, doch es gelingt ihm, sich zu beherrschen, bis es dann doch zum Ausbruch kommt. Ist er wieder abgeklungen, versteht der betroffene Mensch meistens nicht, warum er so die Kontrolle verlor. Hat sich der Pulverdampf verzogen, scheint die starke Emotion gar nicht zur Situation zu passen. Man hat „überreagiert“, ist dann der geläufige Ausdruck.
Kommt das aber öfter vor, kann es sich als Belastung erweisen. Im Angststörungs-Bereich ist es vor allem die Panikattacke, besonders wenn sie häufig auftritt, unter der Menschen besonders leiden. Der erlebte Kontrollverlust ist im wahrsten Sinne verheerend. Doch auch eine soziale Angst oder eine Spinnenphobie sowie vieles andere mehr können anfallsweise auftreten.
Es wird natürlich nach Gründen gesucht, warum es zu dem Anfall kam. Meistens ist kaum etwas zu finden. Wie erwähnt ist es ja so, dass der Emotionsausbruch zu der Situation kaum passt und man überreagiert hat. Das ist zusätzlich belastend, denn damit entzieht es sich der Kontrolle und der betroffene Mensch weiß oft nicht, wie er es künftig vermeiden kann.
Das Problem liegt aber darin, dass er allzu häufig versucht, die Lösung mit dem Verstand zu finden. Es ist, bildlich gesprochen, so, dass sich der Verstand über den Körper beugt und herauszufinden versucht, was der Körper denn bloß hat. Das ist wenig erfolgversprechend.
Es ist nämlich zu bedenken, dass die Emotionen des Menschen im Stammhirnbereich aufgebaut werden, auch Reptilienhirn genannt. Es ist der primitivste Teil des Gehirns, aus dem sich in Millionen von Jahren das denkende Hirn erst aufgebaut hat. Genauer, es hat sich darübergelegt, denn das Stammhirn ist immer noch da. Das Gefühlszentrum des Menschen liegt in seinem Mandelkern, der sich in das Stammhirn fügt.
Alles, was wir wahrnehmen, wird erst vom Stammhirn verarbeitet, bevor es zum denkenden Hirn gelangt. Der Mandelkern im Stammhirnbereich bewertet die eintreffenden Emotionen im Hinblick auf eine einzige Frage, und zwar „die allerprimitivste: ‚Ist das etwas, das ich nicht ausstehen kann, das mich kränkt, das ich fürchte?‘ Falls ja, reagiert der Mandelkern augenblicklich … und schickt eine Krisenbotschaft ins Gehirn“1.
Landläufig wird es anders beschrieben, und zwar geradezu umgekehrt. Nach dieser häufig vertretenen Meinung nehmen Organe wie Augen und Ohren Sinnesreize von draußen auf, schicken sie zur Großhirnrinde (der jüngsten Entwicklung des Gehirns). Dort werden sie eigens analysiert. Sind dann die Botschaften, die dort anlanden, von einer emotionalen Bedeutung, erfolgt ein Signal zum Mandelkern, um Emotionen zu aktivieren.
Das kann und wird tatsächlich geschehen, solange wir wenig belastet sind. Wenn wir aber eskalieren, wenn wir emotional explodieren, dann hat das bei uns den einfachen Grund, dass der Mandelkern aktiv wurde. Er übernimmt nun selbst die Kontrolle, erklärt von sich aus den Ausnahmezustand und stellt das übrige Gehirn „für seine dringenden Angelegenheiten unter seine Befehlsgewalt … Die Entgleisung geschieht überfallartig, sodass das … denkende Gehirn gar nicht erst Gelegenheit bekommt, einen Blick auf das Geschehen zu werfen oder gar zu entscheiden, ob es eine gute Idee ist“.2
Und das ist besonders bezeichnend: „Es sind unsere primitivsten und stärksten Gefühle, die den direkten Weg über den Mandelkern nehmen ...“3
Warum sollte das geschehen, warum reagiert der Mandelkern so? Er ist auch unser Gefühls-Gedächtnis. Erinnerungen, die emotional sind, werden viel stärker und länger gespeichert. Tritt dann eine Situation auf, die einer vergangenen ähnelt, in der man emotional erregt war, meldet sich gleich der Mandelkern.
Doch diese Meldung erfolgt oft zu schnell, ohne Einschaltung des „Denkapparats“, eben als Alarmreaktion. Der bewusste Verstand wird umgangen und kann seine Aufgabe nicht erfüllen: die Situation zu analysieren und die passende Antwort zu finden.
Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Wohl durch die Evolution bedingt, entwickeln viele Menschen Angst, wenn sie eine Schlange erblicken. „Wenn Sie also aus dem Augenwinkel etwas erspähen, das eine Schlange sein könnte, treibt der Mandelkern Sie dazu, zur Seite zu springen, bevor“ das denkende Gehirn „entscheiden kann, ob es wirklich eine Schlange oder bloß ein zusammengerolltes Seil ist“4.
So kann beispielsweise bei Eifersucht schon eine kurze Sinneswahrnehmung (dass da ein „konkurrierender“ Mensch sein könnte, der sich an den Partner „heranmacht“) eine Explosion auslösen, ähnlich wie beim Anblick der Schlange, und ohne überhaupt einzuschätzen, ob tatsächlich Gefahr vorliegt.
Allerdings ist es dabei so, dass die Menschen sich darin unterscheiden, wie schnell und stark sie reagieren. Das hängt vom allgemeinen Stressniveau ab, das der jeweilige Mensch aufweist. Je nach innerer Anspannung, wird der Mandelkern „überaktiv“. Stehen Menschen unter Stress, reagieren sie oft emotionaler und vor allem unbeherrschter. Es fällt ihnen dann zunehmend schwerer, zu einer inneren Ruhe zu kommen. Permanent sind sie in einem Zustand, der nahe an der Alarmreaktion ist. Sie versuchen sich zu beherrschen, aber dabei ungefähr so, wie wenn sie mit ihrer Willenskraft den Deckel auf dem Kochtopf halten, damit er nur ja nicht vom Kochtopf fliegt. Das ist aber anstrengend und es geht oft nicht lange gut.
Um die Gefühle zu regulieren, kann der Verstand hier nur wenig helfen. Jeder Mensch weiß nämlich sehr wohl, wie wenig Argumente nützen, wenn der andere Mensch eskaliert. Helfen kann nur die Sprache des Körpers, und das ist die energetische Sprache, um wieder ins Gleichgewicht zu gelangen, wenn man nicht riskieren will, dass Seele und Körper Schaden erleiden.
Anmerkungen:
1) Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz, München 1995, S. 34
2) a.a.O., S. 32
3) a.a.O., S. 36
4) a.a.O., S. 43